Das „Schützenwesen in Deutschland“ wird in das Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Dies geht aus einem Schreiben des Vorsitzenden des Expertenkomitees Immaterielles Kulturerbe bei der Deutschen UNESCO-Kommission, Prof. Dr. Christoph Wulf, sowie des Generalsekretärs der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Udo Michallik, hervor. Die Eintragung schließt ein mehrstufiges Bewerbungsverfahren erfolgreich ab, das der Deutsche Schützenbund (DSB) zuletzt gemeinsam mit der Europäischen Gemeinschaft Historischer Schützen (EGS), dem Dachverband der konfessionell orientierten Schützenbruderschaften, betrieben hatte.
Das Expertenkomitee würdigt das „Schützenwesen in Deutschland“ als „Ausdruck lokal aktiver Kulturpraxis mit lebendiger Traditionspflege, die stark in örtliche Sozial- und Kulturmilieus eingebunden ist“, wie aus dem Schreiben hervorgeht. Es gebe „vielfältige Maßnahmen zur Weitergabe, unterschiedliche Formen der Jugendarbeit und eine aktive Pflege regionaler und europäischer Verbindungen. Auch die Verpflichtung gegenüber sozialem Engagement und ziviler Kultur im Umgang mit Waffentechnik und Waffengebrauch sowie der integrative Charakter wurden hervorgehoben.“
„Ich freue mich sehr über diese großartige Anerkennung unserer Arbeit im Bereich Schützenbräuche und Tradition“, sagte DSB-Präsident Heinz-Helmut Fischer in einer ersten Stellungnahme. „Die Wertschätzung, die mit dem Eintrag in das Bundesweite Verzeichnis verbunden ist, gilt natürlich in erster Linie unseren Mitgliedern in den Vereinen, die nicht nur sehr viel Herzblut investieren, um die alten, überlieferten Bräuche aktiv aufrecht zu erhalten und zu pflegen, sondern auch die Aufgeschlossenheit und Fantasie mitbringen, sie in Zeiten schnellen gesellschaftlichen und demografischen Wandels durch kreative Anwendung und Veränderung gerade auch der jungen Generation weiterzugeben und damit am Leben zu halten.“
Anerkannte Träger des kulturellen Erbes „Schützenwesen in Deutschland“ werden die 1,4 Millionen Mitglieder des Deutschen Schützenbundes, die Vertreter des rheinisch-westfälisch-sauerländischen Schützenwesens und die zum Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften (BHDS) gehörenden Vereinigungen sein.
Die Erstellung und stete Aktualisierung des quantitativ nicht begrenzten Bundesweiten Verzeichnisses ergibt sich aus dem 2003 von der UNESCO verabschiedeten „Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes“, dem Deutschland 2013 beigetreten ist. Unter „immateriellem Kulturerbe“ sind lebendige kulturelle Ausdrucksformen zu verstehen, die unmittelbar von menschlichem Wissen und Können getragen werden. Sie sind Ausdruck von Kreativität und Erfindergeist, vermitteln Identität und Kontinuität. Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben und fortwährend neu gestaltet. Zu den Ausdrucksformen gehören etwa Tanz, Theater, Musik und mündliche Überlieferungen wie auch Bräuche, Feste und Handwerkskünste. Die Aufnahme in das Bundesweite Verzeichnis ist eine „öffentlich sichtbare Anerkennung der kulturellen Ausdrucksform und ihrer Träger“, wie es in der Ausschreibung heißt. Finanzielle Unterstützung ist damit nicht verbunden. Durch die Aufnahme in das Verzeichnis sollen die Bedeutung des lebendigen Kulturerbes und der einzelnen kulturellen Ausdrucksformen stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Das Verzeichnis soll außerdem eine Bestandsaufnahme darüber liefern, „welche immateriellen Schätze unser Land zu bieten hat“. Auf der Liste standen bisher schon 27 Traditionen und Wissensformen, von den Oberammergauer Passionsspielen über den Rheinischen Karneval bis hin zur Deutschen Theater- und Orchesterlandschaft.
Schützenwesen in Deutschland
Das Schützenwesen ist vielerorts ein wichtiger, historisch gewachsener und lebendiger Teil der regionalen bzw. lokalen Identität. Es umfasst eine große Anzahl von Bräuchen und Traditionen, die in ganz Deutschland in zahlreichen unterschiedlichen Erscheinungsformen verbreitet sind. Das Spektrum reicht von den stark christlich geprägten Bruderschaften im rheinischen-westfälischen Bereich über das weltliche, zum Teil streng traditionell gelebte Brauchtum im östlichen Deutschland und die eher bürgerlich-republikanisch veranlagten Gepflogenheiten der Vereine in den früheren freien Reichs- und Hansestädten bis hin zu den folkloristisch-fröhlichen Traditionen der süddeutschen Schützengesellschaften. Das Schützenwesen hat im Laufe seiner Geschichte immer wieder auf Veränderungen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen reagiert und sich enorm ausdifferenziert. Das alte Brauchtum wird heute in der Regel im Rahmen einer Vereinszugehörigkeit von Menschen jeden Alters und Geschlechts unabhängig von religiösem Bekenntnis, sexueller Orientierung, Herkunft oder auch Behinderung ausgeübt. Es gibt vielfältige Maßnahmen zur Weitergabe der Tradition, unterschiedliche Formen der Jugendarbeit und eine aktive Pflege regionaler und europäischer Verbindungen.
Bekanntester und wesentlicher Ausdruck des Schützenwesens ist das Schützenfest, das mit vielfältigen örtlich unterschiedlichen Bräuchen einmal im Jahr gefeiert wird. Im Zentrum steht der oftmals durch das Königsvogelschießen ermittelte Schützenkönig bzw. die Schützenkönigin. Zu seinen/ihren Ehren finden Umzüge und Paraden statt, bei denen die uniformierten Schützen zu Ehren des Königs bzw. der Königin auftreten. Die Schützinnen und Schützen eines Vereins oder einer Bruderschaft treten in einheitlicher Schützentracht auf, tragen Vereinsabzeichen und verfügen über eine Fahne, um die sich wiederum diverse Bräuche gruppieren. In der Schützenhalle bzw. im Festzelt finden die gesellschaftlichen Feiern (Bälle, Frühschoppen, Platzkonzerte) statt. Jedes Schützenfest hat lokal hergebrachte Rituale und Bräuche und unterschiedliche Abläufe. Auch die genutzten Utensilien unterscheiden sich lokal und regional. Über dieses singuläre Ereignis im Jahr hinaus prägen gerade in kleineren Orten die unterschiedlichen ortsbezogenen Bräuche der Schützenvereinigungen das soziale und kulturelle Gemeinschaftsleben, sodass die Schützentradition das ganze Jahr wahrnehmbar ist und gelebt wird.
Die Ursprünge des Schützenwesens reichen vielerorts bis ins Mittelalter zurück. Im rheinisch-flandrisch-westfälischen Raum wurde zu dieser Zeit die jeweilige Stadt bzw. Gemeinde durch die Bürger selbst geschützt; der Wehr- und Verteidigungscharakter stand somit im Vordergrund. Mit der Übernahme dieser Aufgaben durch den Staat schwand diese Funktion des Schützenwesens. Dies kommt heute noch in einzelnen symbolischen Bräuchen zum Ausdruck, etwa dem Paradieren mit Holzgewehren oder der Tradition des Vogelschusses.